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KBD-GSR Abschluß – Auftakt 2007/2008
mindestens einmal monatlich, mittwochs 19.00h
in der rls (ND-Gebäude), Seminarraum 1
Wird von "Globalen Sozialen Rechten" (GSR) gesprochen, geht es meist um Auseinandersetzungen. Auseinandersetzungen um das Verhältnis des Nordens zum globalen Süden und um die Ausrichtung "linker" und "globalisierungskritischer" Bewegungen insgesamt, um Auseinandersetzungen mit der globalen Prekarisierung der Arbeit und des Lebens, um den Status von MigrantInnen sowie von Erwerbslosen und um ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle und jedeN, weltweit. Offensichtlich wird von GSR sehr viel mehr erwartet als die eine odere andere Besserung einer ansonsten unverändert elenden sozialen Lage. Was, so bleibt also zu fragen, versprechen sich zunehmend mehr Linke verschiedener Herkunft und Richtung von einem derart unbestimmten, vielleicht aber vorerst notwendig unbestimmten Begriff? Wäre darunter von der Linken eine neue Utopie-Vorstellung zu entwickeln, die wieder strategisches Denken und Vorgehen ermöglicht? Welche Vorstellungen verbergen sich hinter dem Begriff der GSR?
Download Flyer: 7.2.07:Seibert (PDF, 245KB)
Thomas Seibert, prom. Philosoph, Mitglied im attac-Rat, Redakteur von "Fantômas"; zahlreiche Publikationen zu Fragen der Nord-Süd- und globalen Ungleichheits-Problematik sowie zur philosophischen Auseinandersetzung mit Existenzialismus und Poststrukturalismus
Achtung!: Ab dieser Sonderveranstaltung findet der Kritische Bewegungsdiskurs in der rls,
Alter Konferenzraum 1. Stock, nicht mehr im HDD, statt!
Brasilien ist das erste Land, das die Einführung eines Grundeinkommens gesetzlich festlegte. In zwei Schritten wird es seit Jan. 2005 eingeführt. Bereits in den 60er Jahren war Erich Fromm der Auffassung, daß ein Grundeinkommen in Brasilien zum ersten Mal die Menschen vor der Drohung des Hungertodes befreien und sie auf diese Weise unabhängig von jeglicher Art unwürdiger Arbeit machen würde, ihnen eine Wahlfreiheit jenseits des ökonomischen Zwangs geben würde. Seit Jan. 2005 erhalten die Ärmsten der Gesellschaft, etwa 20% der Bevölkerung, ein ‚Familienstipendium’ ausbezahlt, das vor allem Nahrung sichern soll. Dieses ‚Familienstipendium’ wird von der neoliberalen Politik der Weltbank unterstützt und ist an Bedingungen gebunden. Der Übergang zur zweiten Phase, die Umwandlung des ‚Familienstipendiums’ in ein Grundeinkommen, ist jedoch an die Entscheidung der Lula-Regierung gebunden. Die Akteure des bürgerlichen Lagers agieren gegen die soziale Sicherung und das Instrument des Grundeinkommens mit der Ideologie der Ausgabenkürzungen, während die Linke über deren Wirkungsmechanismen noch uneinig ist. Wenn die brasilianische Zivilgesellschaft die möglichen Perspektiven dieses Anliegens verstände und Druck auf die Regierung von Lula ausübte, könnte das Grundeinkommen schneller implementiert werden. Damit stellt sich die Frage, ob dieser ganz andere Umgang mit lebensunwürdigen Verhältnissen exemplarisch für die Realisierung des ‚globalen sozialen Rechts’ auf Existenz ist? Wie wirkte sich die Möglichkeit sozialer Sicherheit für alle auf die politischen Konstellationen bei der Herausbildung eines ‚südamerikanischen Blocks’ aus, welche Auswirkungen hätte es sowohl auf die anderen Regierungen im linken Spektrum Südamerikas, als auch auf das Spannungsverhältnis unterschiedlicher Regionen in globaler Sicht? Wie viel Sicherheit gewährleistete so ein Grundeinkommen? Wie entscheidend notwendig ist eine soziale Infrastruktur, wie sie etwa die venezolanische und brasilianischen Verfassung festschrieb, mit einem grundlegenden Recht für jeden in Venezuela und Brasilien lebenden Menschen auf Partizipation am politischen, ökonomischen, sozialen und kulturellen Leben, mit dem Recht kostenloser Bildung und Gesundheitsversorgung jedes in Venezuela und Brasilien anwesenden Menschen? Welche Auswirkungen ergäben sich für die Herrschaftsverhältnisse der Welt, würde das von Armut geprägte, ausgebeutete Südamerika der neoliberalen Struktur eine menschenwürdige soziale Sicherung entgegenstellen? Wie wirkte sich das Grundeinkommen gegen die neoliberale Politik von Weltbank und Internationalem Währungsfonds aus?
Download Flyer: 28.2.07: Zimmermann (PDF, 245KB)
Clovis Zimmermann geb. 1969 in Concórdia, Brasilien. Theologe und prom. Soziologe, von 94 bis zum Abschluß der Promotion 2004 über „Bürgerbeteiligung und Stadtplanung in brasilianischen Großstädten: Das partizipatorische Stadtplanungsmodell von Porto Alegre im Vergleich zum sozialtechnokratischen Modell von Curitiba an der Universität Heidelberg über", Studium in Heidelberg. Zurzeit Dozent für Sozialpolitik an der UNIMONTES (Universidade Estadual de Montes Claros) in Brasilien, Mitglied der internationalen Menschenrechtsorganisation FIAN (FoodFirst Information and Action Network) und Mitbegründer des Brasilianischen Netzwerks Grundeinkommen.
Inwieweit sind Staat und internationale politische Institutionen Adressaten der Forderung nach „Globalen Sozialen Rechten“? Welche Rolle könnten sie bei deren Realisierung spielen? In welchem Verhältnis stehen transnationale Entscheidungen und nationalstaatliche Handlungsspielräume im globalen Raum?
Während das Verhältnis von sozialen Bewegungen zu internationalen politischen Foren wie der WTO oder der G 8 deutlich kritisch ist, entsteht am Verhältnis zum (nationalen) Staat immer wieder grundsätzlicher und strategischer Streit. In welchem Zusammenhang stehen die Ziele internationaler politischer Institutionen wie WTO und G8 aber auch progressiver Foren wie der Internationale Arbeitsorganisation (ILO), der Klimarahmenkonvention oder der UN-Konferenz zu Handel und Entwicklung (UNCTAD) zu aktuellen gesellschaftlichen Umbrüchen? Wie wirken sie sich auf den Staat und seine theoretisch-politische Definition aus.
Staatliche und internationale Institutionen sind Teil eines politischen und sozio-ökonomischen „Mehrebenensystems“. Es stellt eine entscheidende Bedingung für die Formulierung von Protest, politische Intervention und die Entwicklung von Alternativen dar. Es geht also nicht allein um die transnationale Politikebene und auch nicht nur um lokale Widerstände, es geht um die Frage, wie sie sich gegenseitig bedingen. Was bedeutet etwa die Forderung "WTO abschaffen!"? Welche Rolle sollten Mobilisierungen wie jene gegen das G8-Treffen spielen? Wie verhalten sich emanzipative Bewegungen zu linken Regierungen? Welche vielfältigen, strategischen Schlussfolgerungen wären für linke Handlungsperspektiven daraus zu ziehen? Welche Möglichkeiten von Transformation bieten sich und wie müßten sich transnationale Akteure formieren, um solche Prozesse befördern zu können? Ließe sich die globale Organisation UNO so transformieren, daß sie selber Transformationsmöglichkeiten hin zu globalen Demokratisierungsprozessen in die Wege leiten könnte?
Download Flyer: 7.3.07:Brand (PDF, 140KB)
Ulrich Brand, Dr. habil. der Politikwissenschaft, arbeitet an der Universität Kassel am Fachgebiet „Globalisierung und Politik“ und ist politisch aktiv in der Bundeskoordination Internationalismus (BUKO) und im wissenschaftlichen Beirat von Attac. Er nimmt kurz vor der Veranstaltung am Weltsozialforum 2007 (WSF) in Nairobi teil. Seine jüngste Buchpublikation: „Gegen-Hegemonie. Perspektiven globalisierungskritischer Strategien“ (Hamburg 2005)
Globale soziale Rechte sind Menschenrechte. Menschenrechte sind universal. Soziale Rechte können am Internationalen Pakt über die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte anknüpfen, einem Teil der Internationalen Menschenrechts-Charta. Fast alle Staaten haben diesen Pakt inzwischen ratifiziert. Ausnahmen sind z.B. Pakistan, Saudi-Arabien und die USA. Formelle Zustimmung ist gut, praktische Umsetzung ist besser. Es sind z.B. Programme einzurichten, die für jeden Menschen einen angemessenen Lebensstandard bedingungslos sichern. Außerdem müssen solche Programme und ihr Funktionieren einklagbar sein. Wie könnten/müssten solche Programme aussehen?
An Vorbedingungen und Schikanen geknüpfte Sozialprogramme können das sicher nicht sein. Auch darf es sich nicht um Schönwetterprogramme handeln, die gerade dann zusammengestrichen werden, wenn sie auf breiter Front gebraucht werden. Was ist übrigens ein angemessener Lebensstandard? Geht es nur um Einkommen oder auch um produktive Ressourcen?
Das sind spannende Fragen, die auch global diskutiert werden. Ein Beispiel dafür ist die von FIAN International und Via Campesina gemeinsam durchgeführte globale Kampagne für Agrarreform. Auch Grundeinkommen ist längst kein „Luxusprogramm“ mehr, das sich nur OECD-Staaten leisten könnten, um ihre Sozialsysteme zu verbessern: Als erstes Land der Welt führt Brasilien per Gesetz das Grundeinkommen seit 1.1.2005 schrittweise ein. Auch in der Entwicklungszusammenarbeit gibt es eine wachsende Debatte über Transferprogramme, in der verschiedene Positionen auf einander stoßen. Das sind zunehmend Direkttransfers von Geld, teilweise auch von Nahrung. Die meisten sind an bestimmte Bedingungen geknüpft. In Südasien und China werden derzeit weniger als 10% der Unterernährten von Direkttransfers erreicht, in Afrika weniger als 5%. Solche Transferprogramme, wie sie auch immer aussehen, sind ein wichtiger erster Schritt – in die falsche Richtung?
Für den Charakter von Gesellschaften, national und global, ist es entscheidend, wie die staatlichen Transferprogramme aussehen und welche soziale Infrastruktur darüber hinaus bereitsteht. Entsprechend geht es bei dieser globalen Debatte, die in Deutschland bislang kaum wahrgenommen wird, um menschenrechtlich entscheidende Weichenstellungen – ganz ähnlich wie in der hiesigen Auseinandersetzung zum Grundeinkommen.
Können sich diese beiden Debatten gegenseitig befruchten – oder stören sie sich eher? Auch um diese strategische Frage zu klären, ist es zunächst einmal wichtig, die unterschiedlichen Positionen und Erfahrungen mit Transfers – bei uns und anderswo – kennen zu lernen bzw. auszuwerten. Wie sähe eine Argumentation aus, die globale soziale Rechte bzw. soziale Menschenrechte zugrunde legt? Ist Grundeinkommen eine Option – oder eine Staatenpflicht?
Download Flyer: 4.4.07:Künnemann/ Blaschke (PDF, 268KB)
Rolf Künnemann ist prom. Mathematiker.
Er arbeitet als Menschenrechtsdirektor bei FIAN International.
FIAN kämpft gegen Verletzungen des Rechts auf Nahrung, von denen Kleinbauern, Landlose, Landarbeiter und Indigene besonders betroffen sind.
Er ist seit 1986 am Aufbau von FIAN in Asien, Europa und Lateinamerika beteiligt.
Darüber hinaus leistete er Beiträge zu internationalen Fachkonferenzen und schrieb Artikel und Bücher zum Menschenrecht auf Nahrung.
Ronald Blaschke, Philosoph und Erziehungswissenschaftler, seit 1995 in den sozialen Bewegungen und in der politischen Bildung aktiv. Er publiziert und hatte Lehraufträge an Universitäten und Hochschulen zu den Themen Armut, Zukunft der Arbeit, bürgerschaftliches Engagement und Grundeinkommen.
Initiator und Sprecher des deutschen Netzwerk Grundeinkommen bis 2006
Der Ruf nach Freiheit der Märkte, vertreten von den G8 und ihren global handelnden Institutionen, wie WTO und Weltbank, stellen das Eigentum an Produktionsmitteln und die Mehrwertabschöpfung über alle Forderungen, die die MR beinhalten. Auch die allgemeinen Menschenrechte (MR) werden offiziell kaum in Frage gestellt, trotzdem wächst der Anteil entwürdigender Armut und die Zahl der Verhungernden. Welchen Sinn und welche Funktion erfüllen die MR? Wo endet der Begriff der Freiheit? Für wen gilt Freiheit?
Sind MR umsetzbar, solange die Gewinnmaximierung aus Privateigentum an Produktionsmitteln das Ziel allen Wirtschaftens sein soll? Wie verhält es sich mit Rechten, die so nicht einklagbar sind? GSR werden von Linken thematisiert, deren Handeln systemüberwindend wirken soll. Diesem Handeln liegt Denken zugrunde, das Aneignungspraxen fordert. Den Bedingungen für mögliche Umsetzung von Aneignung soll nachgespürt werden.
a) auf der eher abstrakten Ebene
Wäre eine Aneignungspraxis
b) auf der praktischen Ebene wäre aufzuspüren, wo Aneignungspraxen sind bzw. sein könnten
c) Aneignung von Freiheitsspielräumen
Es geht bei der Frage aber noch um wesentlich mehr. Nicht nur um die Frage, was vorstellbar ist, was gesellschaftlich akzeptiert werden könnte, welche gesellschaftlichen, ganz anderen Vorstellungen, z.B. auch von Gerechtigkeit das bedeutete. Es geht um die Auseinandersetzung von Widersprüchen individueller Aneignung und Aneignung gesellschaftlicher Gestaltung. Auch nach Marx ist der Schutz des Eigentums ein zu achtendes Recht, für die, zumindest marxistische, Linke geht es ausschließlich um die Frage des Eigentumsrechtes an Produktionsmitteln. Darüber hinaus steht für uns die Frage nach den Möglichkeiten gesellschaftlicher Gestaltung und nach der gerechten Verteilung gesamtgesellschaftlich erarbeiteten Reichtums im Mittelpunkt. Dies alles sind Fragen, die mit ‚Globalen Sozialen Rechten’ zu beantworten wären, nicht jedoch allein mit MR, da GSR wesentlich umfassender sind und politische Forderungen darstellen, während MR weitgehend bürgerlichen Gerechtigkeitsvorstellungen Ausdruck geben.
Download Flyer: 9.5.07: Werner Rätz (PDF, 277KB)
Werner Rätz Politikwissenschaftler, politischer Aktivist, Interventionistische Linke (IL), ist von der ILA (Informationsstelle Lateinamerika) in den Koordinierungskreis von attac-Deutschland entsandt.
Ausgehend von den Erfahrungen um die Organisierung migrantischer Proteste rund um den G 8 in Genua 2001 sollen die Entwicklung der migrantischen Kämpfe in Europa nachgezeichnet und Stärken sowie Grenzen des Konzeptes der Autonomie der Migration aufgezeigt werden. Eröffnete dieses Konzept eine neue Perspektive auf die Migration? Ermöglichte diese Perspektive die Kämpfe der Migration in eine breitere Auffassung der sozialen Kämpfe einzuordnen? Was bedeutet das Konzept der Autonomie der Migration, in welchem Zusammenhang steht es mit dem autonomen Marxismus, sowie mit dem Begriff der ‚Klassenzusammensetzung’? Gleichzeitig soll der Frage nachgegangen werden, wie sich dieses Konzept in die Forderung nach ‚Globalen Sozialen Rechten’ integriert, welche Folgen die derzeitige Veränderungen der Bürgerrechte nach sich zieht. Wie wäre produktiv mit dem Verhältnis nationalstaatlicher Ebene und globaler Ebene umzugehen, wer überhaupt hat Interesse, hier einen Widerspruch auszumachen? Können Menschenrechte national begrenzt sein? Liegt der Widerspruch nicht in dieser Frage? Wie ließe sich eine Vertiefung der streitbaren Auseinandersetzung zum Thema Migration erreichen?
Download Flyer: 16.5.07: Sandro Mezzadra (PDF, 272KB)
Sandro Mezzadra, Philosoph und Politikwissenschaftler, 1992 Promotion zur Vorgeschichte der Weimarer Reichsverfassung. Lehrt in Bologna. In den letzten Jahren sind auch wissenschaftlich die Themen Migration, Bürgerschaftsrechte und Globalisierung in den Mittelpunkt seiner Arbeit gerückt. Vor diesem Hintergrund beschäftigt er sich nun mit dem Thema "Postkolonialismus". Mitglied der italienischen autonomen Bewegung, seit den 80er Jahren an den politischen Kampagnen gegen Repression, gegen Aufrüstung und gegen AKW beteiligt. Nachdem in den 90er Jahren die Altstadt Genuas von schweren Zusammenstößen zwischen MigrantInnen und Bürgerinitiativen von rechts überzogen wurde, beteiligte er sich an der Gründung einer politischen Initiative (Associazione Città Aperta), die MigrantInnen und einheimische EinwohnerInnen der Altstadt zusammenbrachte.
In Lateinamerika wurden in den vergangenen acht Jahren linke Regierungen diverser Ausrichtung gewählt. Zugleich haben verschiedene Prozesse der kontinentalen Integration an Stärke gewonnen: ALBA, Mercosur, Petrocaribe... Politisch im Zentrum steht dabei Venezuela, das gemeinsam mit Bolivien, Kuba und Ecuador eine deutlich linkere Politik vertritt als etwa Brasilien, Uruguay oder Argentinien. So formuliert die neue venezolanische Verfassung die direkte Partizipation der Bevölkerung am politischen, ökonomischen, sozialen und kulturellen Leben als ein grundlegendes Recht. Ebenso wird eine kostenlose Bildung in allen Stufen und eine kostenlose Gesundheitsversorgung als ein Recht aller definiert, deren Ausführung nicht privatisiert werden darf. Das Recht steht allen in Venezuela lebenden bzw. anwesenden Menschen zu. Mit entsprechenden Kampagnen und dem forcieren einer politischen Debatte um soziale Rechte versucht Venezuela diese Ansprüche in Grundlinien einer neuen Politik in Lateinamerika zu verwandeln. Die Vorstellungen über die Art der Integration und ihre Reichweite in Lateinamerika unterscheiden sich allerdings, doch trotz aller Schwierigkeiten nimmt die Herausbildung eines "südamerikanischen Blocks" immer deutlichere Konturen an. Hintergrund vieler Integrationsüberlegungen ist ein Konzept einer "multipolaren Welt", in der Südamerika einen Pol darstellen soll. Angesichts seines enormen Ressourcenreichtums und auch hoch entwickelter Forschung in einigen Bereichen, soll ein südamerikanischer Block dieMöglichkeit eines eigenen Entwicklungsweges eröffnen. Dieser soll die Gewährung, der als allgemein gültig empfundenen sozialen Rechte, zur Grundlage haben. Während die US-amerikanischen Neocons bereits vor der "Rückkehr des Kommunismus" warnen, wird die Integrationspolitik von einigen Linken in Europa als "Neoliberalismus durch die Hintertür" verurteilt. Viele Linke in Lateinamerika hingegen sprechen bereits von einer neuen Ära. Was ist von den verschiedenen "linken" Regierungen zu erwarten? Auf welchen Ebenen spielen sich die verschiedenen Integrationsprozesse in Südamerika ab und welche Rolle spielen die einzelnen Länder? Welche geopolitische Bedeutung hat diese neuere Entwicklung und welche Veränderungen im Weltgefüge ergeben sich daraus?
Download Flyer: 20.6.07:Azzellini (PDF, 268KB)
Dario Azzellini ist Politikwissenschaftler, Autor und Dokumentarfilmer, promoviert zu Partizipation in Venezuela. Aktivist von FelS(Für eine linke Stömung).
Schon in der Vorbereitung des G8-Protestes ergaben sich zu der Haltung der Gewalt im politischen Kampf heftige Kontroversen, die jedoch nicht wirklich ausgetragen wurden. Innerhalb der Bündnisstruktur bildeten sich an dieser Frage antagonistische Positionen, die das gemeinsame Vorgehen gefährdeten. Bei der Demo am 02.06. brachen einige Wenige die mühsam errungenen Absprachen. Doch ging es wohl vor allem um Menschen, die sich nicht in den Vorbereitungs- und Absprachenverlauf einbinden ließen, insofern an dem Absprachenprozeß nicht beteiligt waren. Im Anschluss an die Ausschreitungen eskalierte die sogenannte ‚Gewaltdebatte’ zwischen den Bündnispartnern in einer Form, die gegenseitige Wahrnehmung auf vertrauensvoller Basis nicht mehr zu ermöglichen schien. In Bündnissen für politische Aktionen geht es nicht um grundsätzliche Positionen, sondern um punktuell gemeinsam gestaltete Projekte. Die Spannbreite einer Vielzahl von Akteuren in Bündnissen zu großen Vorhaben, erfordert jedoch verläßliche Absprachen trotz des Wissens grundsätzlich unterschiedlicher Positionen zur Haltung der Gewaltfrage. Es verlangt nach Wegen gemeinsamen Vorgehens, trotz radikal unterschiedlicher Einschätzungen. Im Mittelpunkt also bleibt die Frage zurück, welches Verhalten der eingebundenen Bündnispartner gegenüber Provokateuren gewährleisten könnte, die Absprachen verläßlich durchzusetzen. Stattdessen wurden die gesamten Auseinandersetzungen und Diskurse der 70er und frühen 80er Jahre weitgehend reaktiviert, dominiert von dem trennenden Aspekt zur Gewaltfrage. Ende der 80er und die gesamten 90er Jahre schien ein Lernprozeß stattgefunden zu haben, der es ermöglichte, politisch gemeinsames Handeln unter anderen Fragen voranzubringen. Seit der G8-Protest Vorbereitung, besonders aber nach dem dann stattgefundenen Verlauf dieses Protestes, scheinen wir wieder zu dem Diskussionsverlauf der 70er und 80er Jahre und damit zu all den überwunden geglaubten Fragen zu politischem Aktionismus, zurückgekehrt zu sein. Wahrscheinlicher ist, daß wir nicht zurückgeworfen wurden, sondern daß die Frage der Gewalt bei jeden Protestzyklus aufbrechen wird, weil sie in den herrschenden Verhältnissen angelegt ist und jede neue Generation von Protesten diesen Lernprozeß auf’s Neue machen und weiterentwickeln muß. Um uns diesem Prozeß zu stellen und uns an der Suche nach Antworten zu den aufgeworfenen Fragen zu beteiligen, laden wir zu einer Debatte mit folgenden Teilnehmern:
Wiederum geht es um das Verhältnis von Menschenrechten und Globaler (Sozialer) Rechte, dieses Mal unter dem Blickwinkel der zunehmenden globalen Entrechtung. Unter den zahlreichen Aspekten dieses Themas kommt unter anderen sicher auch die Frage nach zunehmender Veränderung staatlichen Agierens, weg vom Rechtsstaat, hin zum Maßnahmenstaat, wie erneut Fragen nach Wegen und Zielen der Kämpfe um Rechtssetzung zur Sprache.
A] Vortrag und Diskussion sollte mit einem gedrängten Rückblick auf Heiligendamm vom 2. bis 8. Juni beginnen. Auch wird an die Beobachtungen von Mike Davis, Zygmunt Bauman u.a. anzuschließen sein, die jede und jeder aufmerksame Zeitungsleser und Beobachter mit eigener Anschauung unterfüttern kann. Nicht die quer durch alle sogenannten Entwicklungsdekaden seit den frühen 50iger Jahren des letzten Jahrhunderts verkündete Beendigung strukturell Menschen mordender Ungleichheiten, sondern deren Zunahme. Und dies mitten in den Metropolen selber.
B] Die massiven Ungleichheiten mitten in ansonsten reichen Ländern wie der BRD, noch mehr die Ungleichheiten der, den kapitalistischen Anschluss findenden Schwellenländer China, Indien oder Lateinamerika, verschärfter noch im Afrikanischen Kontinent, widersprechen alll dem, was am 12.10.1948 von den Vereinten Nationen in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verkündet wurde. Und diese Erklärung mit nachfolgenden, wie der von 1966 und anderen mehr, sind zwischenzeitlich von nahezu allen Staaten, das heißt fast 200 staatlich organisierten Gesellschaften als Mitglieder der UN unterschrieben worden. Damit ist eine erste Bedingung der M e n s c h e n rechte erfüllt. Sie gelten nominell nahezu universell, also über die ganze bewohnte Erde. Nun wird erörtert werden müssen, warum zum einen der nominellen Geltung keine reelle entspricht. Im Zuge dieser Erörterung wird deutlich werden, was zum einen die erkleklichen Vorzüge, was aber auch die erheblichen Mängel der Menschenrechte sind. Schließlich ist einsichtig zu machen, was sich im R e c h t s charakter der Menschenrechte verbirgt. Damit ist zugleich zu klären, was sich an Möglichkeiten und Chancen in verschiedenen Rechtsbegriffen verbirgt.
C] Die Globalisierung und die in den letzten fast 40 Jahren erreichte Globalität legen nahe, dass damit eine zentrale Bedingung der Menschenrechte erfüllt ist. Sie werden auch, so wird behauptet, überall prinzipiell anerkannt, selbst wenn sie immer erneut verletzt werden. Was aber heißt "Globalisierung"? Nun sind deren "kapitalistischer Geist" und kapitalistischen Funktionen in einigen zentralen Elementen und Aspekten ausfindig zu machen. Die Analyse der Kurzrevue zentraler Elemente und Aspekte erlaubt es dann einzusehen, dass dem unerhörten Wachstumszwang kapitalistisch konkurrierender Branchen, Transnationaler Unternehmen nicht nur eine kostenlose Expansion sich steigernden Wohlstands entspricht, sondern die Kosten des Wachstums notwendig in anhaltender, immer neu produzierter Ungleichheit und der Vernutzung von "Mensch" und "Natur" bestehen, die durch weiteres Wachstum nicht aufgehoben werden können. Ein "nachhaltiges Wachstum" im Sinne kostenloser Höherentwicklung gibt es nicht.
D] Aus den Erörteungen müssen Schlussfolgerungen gezogen werden. Zum ersten: welche Art von Recht entspricht kapitalistischen Expansionen. Wie erfolgt Verrechtlichung national und international. Zum zweiten: warum trägt die ausgreifende Verrechtlichung auf ihrem Rücken, fast wie eine Barockfigur, Entrechtlichungen mit sich? Was hat diese strukturelle und funktionelle Ambivalenz mit den universellen Menschenrechten zu tun?
E] Was heißt vor dem dargestellten Hintergrund: wir wollen Recht? Um welches "Recht" handelt es sich oder müsste es sich handeln. Das riesige Gebiet der Rechtstäuschungen und Rechtsillusionen ist zu erinnern. Vor allem in welcher Richtung müsste gegangen werden, wollte man aus Menschenrechten reelle Lebensbedingungen aller lebenden und morgen geborenen Menschen machen?
Download Flyer: 5.9.07:Narr (PDF, 300KB)
Wolf-Dieter Narr, Politikwissenschaftler, em. Prof. des OSI der FU-Berlin, Mitgründer und Mitsprecher des "Komitees für Grundrechte und Demokratie", er publiziert zu Themen im Spannungsfeld von Menschenrechten, Globalisierung und Demokratie, verleiht seinen Überzeugungen mit zahlreichen politischen Aktionen Ausdruck in der Öffentlichkeit, z.B. beteiligte er sich 1978 an der Jury des Russell Tribunals zu den Berufsverboten in der BRD und war Mitorganisator des Foucault Tribunals zur Lage der Prychiatrie, in jüngster Zeit engagiert er sich in der Flüchtlingspolitik
Argumente besonders der Veranstaltungen [4] und [7] sollen aufgenommen, aus einer anderen Perspektive beleuchtet und weiterer Auseinandersetzung zugeführt werden. Im Mittelpunkt bleibt die Frage, welche Forderungen G(S)R erfüllen müßten, um auf dem Wege ihrer Umsetzung zu einer emanzipatorischen, partizipativen Gesellschaft zu führen. Welche Voraussetzungen wären notwendig, um Menschen sich ihrer Fremdbestimmung bewußt werden zu lassen, so den Anspruch zu wecken, sich gegen sie aufzulehnen und Selbstbestimmung der eigenen Situation sowie Mitgestaltung gesellschaftlicher Prozesse einzufordern. Damit wäre der Anspruch nach politischen Rechten formuliert.
Doch wirft das unzählige Fragen auf: Wie sähe eine Gesellschaft aus, in der Menschenrechte realisiert sind? Wann wäre von Demokratie, also Mitgestaltung aller, zu sprechen? Welches Verhältnis von Wirtschaft und Demokratie setzte das voraus? Welche Ausgestaltung von lokaler Partizipation und Weltvergesellschaftung, müßte in der Ökonomie praktiziert werden, um dem Begriff Demokratie gerecht zu werden? Kann eine institutionelle Ausgestaltung in repräsentativer Form dem Anspruch genügen, oder wäre eine Räteorganisationen sinnvoll, um Demokratie umzusetzen? Was beinhaltete der Politikbegriff zu Zeiten, in denen Partizipation aller zur Selbstverständlichkeit wurde?
Was haben Menschenrechte mit Sozialismus zu tun? Marx äußerte, es wäre nicht die Aufgabe von Sozialisten Gleichheit und Freiheit herzustellen. Er gab keine Begründung, doch läge nahe, weil sie schon hergestellt seien, dem entsprechend, was uns der Liberalismus verheißt. Menschenrechte sind regulative Ideen, die als solche nicht zu verwirklichen sind: Gleichheit wird es immer nur in irgendeiner Hinsicht geben, Freiheit ist immer nur konkrete Freiheit von bestimmten Individuen. Aber die regulativen Ideen sind seit zweihundert Jahren eine wichtige Grundlage unseres gesellschaftlichen Lebens, nochmals Marx, sie sind allgemeines Volksvorurteil geworden. Freilich nicht stabil und allgemein, aber der Tendenz nach und in einem idealen Durchschnitt. Da sie immer wieder bedroht sind, müssen sie auch immer wieder verteidigt, durchgesetzt oder erweitert werden. Wenn auch in Illusionslosigkeit, schlösse das die Erwartung eines hinausführenden Potentials aus?
Fragen, die folgende Punkte zu untersuchen aufwerfen:
Download Flyer: 24.10.07: Demirovic (PDF, 277KB)
Alex Demirovic Sozialwissenschaftler, Dr.habil., arbeitet derzeit als Gastprofessor an der TU Berlin, zahlreiche Veröffentlichungen zu Kritischer Theorie, Staatstheorie, Demokratie und Herrschaftsverhältnisse im Neoliberalismus, in letzter Zeit beschäftigen ihn schwerpunktmäßig Fragen zur Wirtschaftsdemokratie, Redakteur der Prokla, letzte Veröffentlichung: Demokratie in der Wirtschaft, Münster 2007 demnächst erscheint seine überarbeitete Neuauflage von: Nikos Poulantzas, Aktualität und Probleme materialistischer Staatstheorie, Münster, 2007
an welches ökonomische System wären globale soziale Rechte gebunden?
Mario Candeias
Hilfe ist grundsätzlich dialektisch zu denken: Einerseits kommt sie humanitär daher, andererseits birgt sie die Gefahr, mit der Überwindung unmittelbarer Not Abhängigkeitsverhältnisse zu erzeugen bzw. zu festigen. Folgen unkritisch gewährter Hilfe, die nicht die langfristigen Auswirkung dieser Eingriffe in dem gesellschaftlichen Kontext berücksichtigt, trägt zur Stabilisierung von Verhältnissen bei, die Not, Abhängigkeit und Unmündigkeit systematisch produzieren. Damit manifestiert sie die Verteilung von Macht und Reichtumsverhältnissen, in Nord-Süd Richtung. Wie Agamben erkannte: „Die Trennung zwischen Humanitärem und Politischem, die wir heute erleben, ist die extremste Phase der Entfernung zwischen den Menschenrechten und den Bürgerrechten. Letztlich können die humanitären Organisationen, die heute mehr und mehr zu den übernationalen Organen aufrücken, das menschliche Leben nur noch in der Figur des nackten Lebens erfassen und unterhalten deshalb gegen ihre Absicht eine geheime Solidarität mit den Kräften, die sie bekämpfen sollten.“
Kritische Not- und Entwicklungshilfe dagegen interveniert auf Seiten Not leidender Menschen und bezieht Stellung gegenüber jener strukturellen Gewalt, die für Not und aus Unmündigkeit erwachsende Bedürftigkeit von Menschen verantwortlich ist. Ihr Anspruch geht weit über den unmittelbar humanitären Gedanken hinaus, da ihr Ziel ist, zur Veränderung gegenwärtig neoliberaler Verhältnisse und Strukturen der Welt beizutragen, um eine andere, gerechtere Welt, zu schaffen. In einer solchen Gesellschaftsform als Ziel politischen Handelns, müßten sich alle der Würde aller Individuen, sowie den Ansprüchen nach emanzipatorischen und partizipatorischen Bedingungen verantwortlich fühlen. Angesichts des neoliberalen Angriffs auf die sozialen Sicherungssysteme gilt es, Hilfe heute zugleich zu verteidigen, zu kritisieren und zu überwinden. So notwendig es beispielsweise ist, die weitere Aushöhlung von Sozialhilfe zu verhindern, so sehr gilt es, den autoritären Charakter von Sozialhilfe zurückzuweisen und auf ihre Umwandlung in ein ausreichend bemessenes Existenzgeld zu drängen. Ein sinnvoller Umgang mit den Ambivalenzen von Hilfe ist nur zu erreichen, wird sie im Kontext einklagbarer Rechtsansprüche gesehen. Soziale Sicherung ist weder ein Almosen, noch ein Gut, das erst verdient werden muß, sondern geltendes Recht. Der sogenannte WSK-Teil der Menschenrechte, die „Internationale Konvention über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte der Menschen“ aus dem Jahr 1966, verpflichtet die Vertragstaaten zur Verwirklichung u.a. des Rechts auf soziale Sicherung, auf ein Leben frei von Hunger und des Rechts auf die notwendigen Angebote, den höchsten erreichbaren Gesundheitszustand sicherzustellen. Im geltenden Völkerrecht ist das Bemühen um Überwindung von Not somit ein Rechtsanspruch, der allerdings immer weniger gewährleistet ist.
Als Konsequenz neoliberaler Globalisierungsstrategien steht die bürgerrechtliche Absicherung der Menschenrechte, das „Recht, Rechte zu haben“ (Hannah Arendt), überall, nicht nur im globalen Süden, unter Druck. Deutlich wird, die Sicherung sozialer Rechte ist heute nur noch über deren globale Ausdehnung zu erlangen und zu gewährleisten. Ausdehnung meint dabei nicht die Errichtung eines Weltsozialstaates, wohl aber Schaffung internationaler Verträge und selbstbestimmter Vernetzungen, die für globalen sozialen Ausgleich sorgen. Denkbar sind Systeme von völkerrechtlich geregelten Ausgleichsfinanzierungen, in denen die wohlhabenden Länder für die Bedürfnisse der ärmeren aufkommen. Getragen würden solche Systeme vom Prinzip gemeinsamer Risikoteilung, entsprechend dem Solidaritätsgedanken unserer Krankenversicherung.
Andererseits verlangen sie ebenso nach Aktivitäten der von Ungleichheit Betroffenen, die sich legitime, aber nicht gewährte Rechte aneignen müßten, da Rechte nur positiv gesetzt werden, erscheinen sie dem hegemonialen System mit den eigenen Zielen kompatibel. Nur dann wäre Unterstützung weder vom Wohlverhalten der Hilfsbedürftigen, noch von eigennützigen Überlegungen der Helfenden abhängig.
Den Zielgruppen der Akteure NGOs fehlt aber nicht nur ein definierter Rechtsanspruch, den NGOs fehlt ihrerseits eine demokratisch verfaßte Legitimation. Wie der dadurch voranschreitenden Instrumentalisierung von Hilfsorganisationen zur Herrschaftssicherung zu entkommen sein könnte, soll - gemeinsam mit den anderen, angeschnittenen Problemen - Gegenstand des Abends sein.
Download Flyer: 28.11.07:Gebauer (PDF, 405KB)
Thomas Gebauer, Dipl.-Psychologe, ist Geschäftsführer von medico international und Mitbegründer der 1997 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichneten Internationalen Kampagne zum Verbot von Landminen.
Zu Nikolaus ausnahmsweise am Donnerstag!
Die Bedingungen kapitalistisch-neoliberal geprägter gesellschaftlicher Verhältnisse, die, wie wir es 2006 unter dem Titel: ‚Neoliberalismus-Prekarität-Deregulierung’ versuchten herauszuarbeiten, führen durch das neue, finanzmarktgetreibene Akkumulationsmodell in täglich erfahrene Prekarität, die die Bereitschaft weckt, den als einzig mögliche Existenzsicherung erlebten Erwerbsarbeitsplatz um jeden Preis zu retten. Mit der Forderung nach ‚Globalen (Sozialen) Rechten’ GSR ist auch die Forderung nach einer Internationalisierung der Bewegungsformen verbunden. So selbstverständlich lokal, regional gehandelt werden muß, so selbstverständlich muß das unter einem globalen Blick geschehen, um die Globalisierung nicht zur Verfestigung und Vertiefung räumlich-sozialer Ungleichheiten führen zu lassen. Nur effektive, internationale Solidarität kann am gemeinsamen Ziel der Überwindung dieser Ungleichheiten und Spaltungslinien ansetzen.
Gehen wir davon aus, die Umsetzung grundlegender Menschenrechte seien Voraussetzung einer gerechten Gesellschaft um Würde, ausreichende Existenzsicherung, damit Freiheit, Selbstbestimmung, Emanzipation und Partizipation erreichen zu können, müssen wir uns der Frage stellen, inwieweit Lohnabhängigkeit, also Abhänigkeitsverhältnisse, die an die Bedingung der ökonomischen Verwertbarkeit der eigenen Arbeitskraft gekoppelt sind, dem nicht grundsätzlich entgegenstehen. Ein wirklich gutes Leben bedeutet zunächst einmal, die eigene Existenz ist gesichert, was jedem erlauben würde, sich ohne jeden Zwang, selbstbestimmt, seinen eigenen Fähigkeiten und Interessen gemäß, in den Vergesellschaftungsprozeß einzubringen. Damit stellen sich vollkommen andere Fragen, als sie von dem kapitalistisch-neoliberalen System als opportun anerkannt werden. Plötzlich lauten die Fragen: welche Lebensverhältnisse wollen wir, welche Produkte brauchen wir, welchen Sinn hat gesellschaftliche Arbeit zu erfüllen, wer gestaltet ihre Bedingungen?
Vieles, was heute als unabänderlich gilt, wäre damit in Frage gestellt. Warum werden, um Arbeitsplätze zu „retten“, hart und teilweise blutig erkämpfte Errungenschaften der Arbeiterbewegung verscherbelt und damit eine verhängnisvolle (internationale) Verzichtsspirale mit nach unten offenem Ende aktiv „mitgestaltet“?
Das Kapital konkurriert global und setzt somit verschärft Belegschaften auch international in Konkurrenz zueinander. Statt mit internationalisierten Forderungen darauf zu reagieren, lassen wir uns in eine nationale Konkurrenzsituation ziehen, die uns jegliche Handlungsfreiheit nimmt. Internationalisierung darf dabei aber nicht auf Europäisierung reduziert werden. Dazu gehören grenzübergreifender Austausch, internationale Solidarität und Streikformen, nicht Kampf gegen ausländische Billig-Arbeiter sondern ihre internationale Organisierung. Auch solidarische Absprachen und gemeinsame Bemühungen um internationale Arbeits- und Tarifstandards sowie Unterlassung jeglichen Dumpings untereinander.
Die aktuelle Diagnose zum Stand der Gewerkschaftsbewegung muß leider lauten, daß weder das Recht auf menschengerechte Arbeitsbedingungen, noch das Recht auf eine existenzsichernde Entlohnung vertreten werden, solange sie sich in Konkurrenz zur Arbeitsplatzsicherung verhalten („Hauptsache Arbeit“). Dieser Konkurrenzsituation können sich auch linke Gewerkschaften oder linksgewerkschaftliche Initiativen nicht entziehen, solange Lohnarbeitsplätze als alternativlos und zugleich als knappes Gut gelten und fungieren.
Wollen wir unsere Rechte – und niemals dürfen sie auf Arbeitnehmerrechte reduziert werden, da damit sowohl das kapitalistische System festgeschrieben wäre, wie eben auch hierarchische Abhängigkeitsverhältnisse – nach einem menschenwürdigen Leben durchsetzen, d.h. erkämpfen und uns aneignen, müssen wir Abschied von einer Gewerkschaft als Ordnungsfaktor und von der institutionalisierten Interessenvertretung nehmen. Solange der Arbeitsplatzerhalt als vermeintlich einziger Weg zur Existenzsicherung ebenso vermeintlich nur durch die sozialpartnerschaftliche Sicherung und Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit des je eigenen Unternehmens erreicht werden kann, wird es uns nicht gelingen, aus der Logik des Systems auszusteigen, bleiben wir seinen Bedingungen unterworfen. Statt Recht auf (Lohn)Arbeit, muß daher das Recht auf Existenzsicherung, die nicht an die Bedingung der ökonomischen Verwertbarkeit der eigenen Arbeitskraft gekoppelt ist, so ein wirklich gutes Leben sichern könnte, ein gemeinsames internationales Ziel bilden.
Eine transnationale Gewerkschaftbewegung wird nur erfolgreich agieren können, gelänge es ihr, sich selbstbewußt gegen die Lohnabhängigkeit selbst zu richten. Dieses Selbstbewußtsein erfordert gesteigerte Ansprüche an das Leben sowie das Vorhandensein realistischer Alternativen und sei es nur als denkbare Option! Damit wäre die wichtige Funktion der Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen beschrieben. Keinesfalls geht es um eine Umsetzung in unmittelbarer Zukunft, das nämlich würde zwangsläufig ein elendes Verarmungsprogramm bedeuten, genau das, was es zu verhindern gilt!!! Im Moment lautet das Ziel, Information über gleiche und gleichberechtigte Probleme zu geben, um Bedürfnisse nach einem „guten Leben“ entwickeln zu können. Mit Alternativen zur Lohnabhängigkeit sollte es fortgesetzt werden. Sie muß als Ursache für all die Probleme, die uns unser Leben als fremdbestimmt erscheinen lassen, verstanden werden. Dann täten sich Möglichkeiten auf, ganz andere Lebensformen vorstellbar werden zu lassen... (siehe kommende Veranstaltung)
Download Flyer: 6.12.07:Wompel (PDF, 306KB)
Mag Wompel, Industriesoziologin, freie Journalistin und Gründerin u.Chefredakteurin des LabourNet Germany www.labournet.de
KBD-GSR Abschluß – Auftakt 2007/2008
Ein Jahr ging es bisher um den Schwerpunkt ‚Globale (Soziale) Rechte’ (GSR), den Fokus auf das Verhältnis Menschenrechte (MR) – GSR gerichtet. War auch kein Konsens zu der Bedeutung der MR für eine nachkapitalistische Gesellschaftsform zu erzielen, so gab es doch eine überwiegende Ansicht, die Vorstellungen der MR blieben Grundlage einer zukünftigen Gesellschaftsordnung. Gerade, solange sie naturrechtlich, also vorstaatlich verstanden werden, in dem Bewußtsein, ihre Umsetzung als Entfaltungsrecht setzt einen unentwegten Aneignungsprozeß gesellschaftlicher Patizipation voraus. Eine Gesellschaftsform kann nur als weitgehend gerecht organisiert erfahren werden, sofern die grundlegenden MR positv gesetzt, damit jedem verläßlich einklagbar erscheinen. Zu ihnen gehört der grundlegende Wert individueller menschlicher Würde, grundsätzlich und immer, wodurch zwangsläufig weitere Voraussetzungen gegeben sind, da die Würde sonst nicht sichergestellt wäre: auskömmliche Existenzsicherung qua Menschsein, gesellschaftliche Strukturen, die Emanzipation, Freiheit in Pluralität, Gleichheit in Vielfältigkeit, gesellschaftliche Partizipation gemäß selbstbestimmter Fähigkeiten und Interessen, gewährleisten, um Fremdbestimmung, Zwang und Kontrolle auszuschließen. Da kein staatliches Konstrukt autark sein kann, ist immer auf globale Gerechtigkeit zu achten.
Nachdem wir uns in diesem Jahr unter diesem grundsätzlichen Aspekt mit den G(S)R beschäftigten, soll es in den folgenden zwei Jahren wesentlich konkreter werden: wir wollen uns den Vorstellungen Alternativer Lebensformen zuwenden. Dabei rücken Fragen nach den Verhältnissen von Erwerbsarbeit immer wieder in den Fokus, weil diese Bedingungen von Abhänigkeit, Fremdbestimmung, Kontrolle und Zwang Einfluß auf die gesamte Gesellschaftsgestaltung nehmen. Während 2008 sich der Fokus auf die Frage richten soll, wie Gesellschaft organisiert werden müßte, um den individuellen Interessen gerecht zu werden, wollen wir 2009 vorrangig die Bedingungen der Verwirklichung möglicher Alternativen auf gesellschaftlicher Ebene untersuchen, quasi als not-wendige Voraussetzung, um individuelle Zufriedenheit erfahrbar werden zu lassen.
Lebensformen sind niemals, wie es als bürgerliche Vorstellung auch heute noch als Selbstverständnis angenommen wird, - unabhängig von sonstigen gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnissen – eine rein private Angelegenheit, wo individuelle Freiheit umzusetzen wäre. Das eigene Verhalten, die eigenen Möglichkeiten, sind immer auch abhängig von den gesellschaftlichen Gegebenheiten.
In den 70er Jahren, mit der sich verbreitenden undogmatischen marxistischen Auseinandersetzung, dem Aufkommen einer Ökologiebewegung und der Frauenbewegung, wurde dem Zusammenhang von ‚privater’ Lebensgestaltung und gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnissen, viel Aufmerksamkeit geschenkt. Plötzlich wurde Herrschaft als Disziplinierung und Vereinzelung des Menschen, die dieser durch patriarchale Kleinfamilie, durch Sexualnormen und sinnentleerten Konsum erlebte, thematisiert. Die alltäglichen Reproduktionsverhältnisse wurden in einen Zusammenhang mit den Herrschaftsanalysen des realen Produktionsprozesses und dem Verhältnis von Kapital und Arbeit gesehen. Damit wurde der Gedanke relevant, Widerstand könne auch Bedeutung erlangen, werden Möglichkeiten eines nichtentfremdeten, lustbetonten gemeinschaftlichen Lebens innerhalb der jetzigen Gesellschaft konkret erfahrbar gelebt. Das führte dazu, ganz unterschiedliche Vorstellungen zu leben, Vielfalt in Verschiedenheit erfahrbar werden zu lassen.
Wesentliches Moment der Erneuerung des Verhältnisses von Alltagspraxen und Gesellschaftskritik war die Entwicklung der zweiten Frauenbewegung. Ausgangspunkt war die Kritik, Frauen würden auf ihre Rolle als Hausfrau und Mutter reduziert. Erziehungs- und Reproduktionsarbeit aber beträfe beide Geschlechter. Der weitgehende Ausschluß von Frauen aus fast allen gesellschaftlichen Prozessen, der damit einherging, galt als konstituierend für kapitalistische Verhältnisse. Erstmals wurde auch reflektiert, inwieweit Frauen durch ihre Erziehungsarbeit diese Verhältnisse mit reproduzieren. Alternative Lebensformen beinhalteten vor diesem Hintergrund nicht nur Versuche, enthierarchisierter Liebes- und Sexualitätsformen sondern auch die Erwartung, andere Geschlechter- und Generationenbeziehungen zu entwickeln. Diese Vorstellungen wurden somit zum Protest gegen gesellschaftliche Herrschaftsverhältnisse und zur massenhaften, individuellen Entdeckung neuer Lebensformen.
Vom heutigen Standpunkt aus ist festzustellen, die damaligen Normen und Disziplinierungstechniken, zu denen Alternativen gesucht wurden, entsprangen einer fordistischen Gesellschaftsformation. Sie waren Teil der Regulierung einer Gesellschaft, die auf Massenproduktion und –konsum setzte und den Arbeitenden (in Fabrik und Zuhause) einen stark rationalisierten und vereinheitlichten Alltag abverlangte. In der gegenwärtigen Form des Kapitalismus beruht Profitproduktion im Unterschied hierzu, stark auf kleinräumiger, sich ständig verändernder Produktion von Gütern und vor allem Dienstleistungen. Die Erschließung immer neuer Absatzmärkte und eine entsprechende Produktion von Bedürfnissen ist konstitutives Moment dieser Produktionsweise. In diesem Kontext erweist es sich als ein Einfallstor für die Hegemonie neoliberaler Regulierungsweisen, wenn sich Vorstellungen von Freiheit und Selbstverwirklichung auf die individuelle Ausgestaltung der Lebensweise konzentrieren und diese von einer umfassenden Gesellschaftskritik abtrennen. Die flexible Produktionsweise setzt voraus, daß sich die Arbeitenden schnell und motiviert in neue Zusammenhänge einarbeiten können. Zugleich wird ist die Absicherung der Reproduktion immer stärkerer Vereinzelung unterworfen, unter dem Stichwort Eigenverantwortung. Die partielle Anerkennung von Lebensweisen, fern der heterosexuellen Kleinfamilie, stehen hierzu nicht grundsätzlich im Widerspruch. Sofern sie die marktorientierte Handlungsfähigkeit der Einzelnen fördern und selbstorganisierte Alternativen zur gesellschaftlichen Verantwortung für Hilfebedürftige (Kinder, Kranke, Alte, Gestresste) entwickeln, können sie erwünscht sein. Gleichzeitig beruht auch diese Produktionsweise auf der Abwertung aller Tätigkeiten, die nicht effizient gestaltbar sind. Solange wir uns nicht von den fremdbestimmten Erwerbsarbeitsverhältnissen befreien, steht dieser Widerspruch einer freien Entfaltung alternativer Lebensformen entgegen.
Download Flyer: 12.12.07:Nowak (PDF, 306KB)
Iris Nowak, Diplom-Sozialökonomin, Diplomandin an der HH Uni für Wirtschaft u. Politik, Mitglied der Frauenredaktion der Zeitschrift „Das Argument“